Kaum zu glauben, dass diese Inseln einmal Verbannungsorte waren. Hierher schickte die britische Kolonialmacht 1937 militante Anhänger des Großmufti von Jerusalem und 20 Jahre später den militanten zypriotischen Erzbischof Makarios. Damals lagen die Seychellen am Ende der Welt. Aber Sibirien ist doch etwas anderes.
Heute verbringt das britische Thronfolgerpaar die Flitterwochen in der inzwischen selbstständigen Republik. Und auf dem höchsten Punkt der Hauptinsel Mahé hat der Emir von Abu Dhabi einen riesigen, nachts angestrahlten Palast erbaut. Die Reichen der Welt rivalisieren beim Bau luxuriöser Residenzen und Resorts auf diesen 115 Trauminseln vor der Ostküste Afrikas.
Anders als den Korallenatollen der Malediven auf der anderen Seite des Indischen Ozeans droht den Granitinseln der Seychellen nicht die Überflutung aufgrund eines steigenden Meeresspiegels. Aber wenn man sie sehen will, bevor sie die Landnahme durch die Superreichen und den gehobenen Massentourismus überflutet, sollte man nicht zu lange warten. Und ja, damit wird man zum Teil des Problems.
Man muss sich freilich nicht unbedingt auf der Suche nach dem einsamsten Sandstrand und nach den Fotos, die am ehesten so aussehen wie die Urlaubsprospekte in den Stress eines rastlosen Inselhoppings treiben lassen. Ebenso wenig muss man den Versprechungen des ultimativen Luxus und der totalen Entspannung in abgeschiedener Exklusivität auf den Leim gehen. Entspannung und Luxus kann man ja auch in einem der vielen Wellnesstempel Deutschlands genießen, Dreisterneköche inklusive, und in unseren Breiten bleibt der Wein länger kalt.
Und so viele Inseln man auch gesehen haben mag: Am Ende ist es immer die, auf der man nicht war, die irgendein Besserwisser zur einzig wahren erklärt. Doch azurblaues, von bunten Fischen wimmelndes Meer, Sandstrand, Palmen und die schwüle, schwere, zur Faulheit einladende Luft der Tropen gibt es überall auf den Seychellen.
Mahé bietet mehr als Strände
Da kann man, wie 90 Prozent der Bevölkerung dieses Paradieses, gleich auf Mahé, der größten Insel, bleiben, wo es auch einige nicht ganz so teure Hotels gibt und wo man außer einigen erstaunlich leeren Stränden auch Fauna und Flora, Küche und Kultur entdecken kann.
Um mit der Kultur anzufangen: Sie ist jung. Besiedelt wurden die Inseln erst Ende des 18. Jahrhunderts. Und sie ist kreolisch, was so viel heißt wie ein Mischmasch aus europäischen, afrikanischen und asiatischen Elementen: das schöne multikulturelle Erbe des Imperialismus. Französische und britische Abenteurer, Piraten, Kolonialbeamte und Plantagenbesitzer, Sklaven und befreite Sklaven aus Ostafrika, arabische, indische, chinesische und malaiische Händler brachten ihre Sprachen, ihre Kulturen, ihre Religionen, Speisen und Traditionen mit.
Am sinnlichsten erfährt man diese Buntheit in den katholischen oder adventistischen Kirchen, dem Hindutempel oder der Moschee der Hauptstadt Victoria. Bei besonders wichtigen Festen wie Weihnachten oder dem Fest Mariä Himmelfahrt („Lafet La Digue“) am 15. August ist es durchaus üblich, dass Angehörige aller Religionen zusammen feiern – bei den weltlichen Festen wie dem „Carnaval de Victoria“ Anfang März, dem „Festival Kreol“ Ende Oktober und dem Subios-Meeresfest Anfang November sowieso.
Zuweilen freilich artet die Feier des Kreolischen, zumal unter dem Einfluss des Tourismus‘, in eine Art Disney World aus, bei der man vor lauter Rum-Punch, Hawaii-Hemden, Blumengirlanden, Piratenromantik, Bands, die Variationen von „Island In The Sun“ spielen, und Tänzerinnen, die hart am Rand des Softpornos agieren, nicht mehr weiß, ob man in der Karibik, im Pazifik oder vielleicht doch beim Karneval der Kulturen in Berlin ist.
Dabei finden sich etwa unter den Musikern, die für die Touristen die traditionellen Sega-Songs mit Reggae, Calypso und Salsa mischen, teilweise hervorragende Leute. Am besten man fragt sie, wo sie auf einem Dorf- oder Stadtfest oder in einem kleineren Klub auftreten. Da kann man noch echte Entdeckungen machen – auch beim großen „Country & Western Jamboree“ im Juli, denn aus irgendeinem Grund hat diese uramerikanische Musik hier auf Mahé eine begeisterte Anhängerschaft. Wie in jedem Land, das vom Tourismus lebt, liegen Kitsch und Kunst nahe beieinander.
Die kreolische Küche basiert, wie es sich gehört, auf Fisch in allen Variationen. Currys, süße und scharfe Kokosnusssoßen, frittiertes Gemüse und Nachspeisen, die schnell mit der Strandkompatibilität des Körpers aufräumen, gehören zu den Standards. Die Resorts servieren eine europäisierte Form dieser Küche: nicht so scharf, nicht so süß, nicht so fettig – nicht authentisch.
Will man sich einen ersten Einblick verschaffen, empfiehlt sich das Traditionsrestaurant „Marie Antoinette“ in Victoria; danach traut man sich vielleicht, an einem Stand auf dem Sir Selwyn Selwyn Clarke Market oder in kleineren Restaurants, etwa im ländlich geprägten Süden Mahés, das eine oder andere zu probieren.
Natürlich muss man auf den Seychellen tauchen oder schnorcheln. Wenige Meter vom Strand schon fühlt man sich wie in einem Aquarium. Hat man sich aber sattgesehen oder sich dabei einen ordentlichen Sonnenbrand geholt, sollte man sich auch der Erkundung der Insel widmen. Wer sich etwas traut, nimmt den Bus (alle Seycheller sprechen neben Kreolisch auch Englisch und Französisch), ansonsten mietet man ein Auto.
Doch sollte man immer wieder aussteigen und laufen. Da es auf Mahé keine gefährlichen Tiere gibt, kann man sich allein auf Wanderwegen durch den Dschungel schlagen, etwa zum abgelegenen Strand Anse Major, wo man vielleicht eine Meeresschildkröte entdeckt, zum Wasserfall von Cassedent oder durch den Morne-Seychellois-Nationalpark, wo fleischfressende Kannenpflanzen zwischen den Granitfelsen wachsen.
Am späten Nachmittag sollte man sich eine Tasse Tee in der Taverne der Teeplantage gönnen und zusehen, wie aus den Bäumen die Flughunde zur Nahrungssuche aufbrechen, oder bei einem mitgebrachten Picknick von der „Mission Lodge“ auf Mont Fleuri dem spektakulären Sonnenuntergang zuschauen.
Hier hatten im 19. Jahrhundert Missionare eine Schule errichtet, um ehemalige Sklaven zu unterrichten, die britische Kriegsschiffe aus der Hand arabischer Sklavenhändler befreit hatten, um sie dann auf den nächstgelegenen Inseln auszusetzen, die diese Exilanten nicht als Paradies empfanden.
Unweit von Mont Fleuri, gerade unterhalb vom protzigen Palast des Emirs von Abu Dhabi, heißt ein Dorf La Misère – das Elend. Auf dem Flugplatz der Insel parken US-Drohnen, und im Hafen liegen Kriegsschiffe – eingesetzt werden sie gegen die somalischen Nachfolger jener Piraten, die in der Folklore romantisiert werden.
Kurzum: Sonne, Sand und Meer, Drinks am Swimmingpool und Palmen im Abendwind gibt’s auch anderswo. Wer neugierig ist, findet aber gerade auf Mahé sehr viel mehr, als die Urlaubsprospekte versprechen.