„Heiraten auf den Seychellen“-News # 036: Seychellenpalme in Berlin

„Heiraten auf den Seychellen“-News # 036: Seychellenpalme in Berlin

Den folgenden Artikel entdeckte ich soeben:

Berlin – Der Kapitän hatte sich das sicher alles ein bisschen anders vorgestellt. Nach Indien wollte der französische Abenteurer François Pyrard im Jahr 1602 schippern. Doch weil seine „Corbin“ auf offener See den Geist aufgab, musste er sich auf die Malediven retten. Dumm nur, dass der dortige König die Schiffbrüchigen partout nicht gehen lassen wollte, fünf Jahre lang.

Als Pyrard und der Crew dann doch die Flucht gelang, trugen sie die Kunde von einer merkwürdigen Frucht nach Europa. Immer wieder war sie an die Strände der Inseln gespült worden. Nicht nur, dass die Dinger gigantisch groß waren. Sie erinnerten auch verdächtig an die Beckengegend einer Frau. Der König bestand darauf, dass solch verführerische Fundstücke alle an ihn geliefert werden – und drohte unehrlichen Untertanen mit dem Abhacken der Hand oder gar dem Tod.

Was Pyrard gesehen hatte, war die Frucht der Seychellenpalme. Wissenschaftlich heißt sie Lodoicea maldivica. Sie ist drei bis vier Mal so groß wie eine normale Kokosnuss. Die Samen sind auch schwerer als alles, was Biologen an Vergleichbarem kennen – bis zu 20 Kilogramm. Der Baum, von dem die Nuss stammt, zählt zu den seltensten Palmenarten des Planeten. Im Botanischen Garten von Berlin keimt nun solch eine Nuss, manchmal auch als Coco de Mer bezeichnet. Das erste Mal seit 80 Jahren könnte einer der seltenen Bäume in der Hauptstadt wachsen.

Eine Festgesellschaft ist deswegen am Donnerstag ins Große Tropenhaus gekommen: Der Chef des Gartens, der Honorarkonsul der Seychellen, ein Rechtsanwalt, der das wertvolle Saatgut in die Hauptstadt brachte, Forscher, Gärtner, Journalisten. Es werden Getränke und Kekse in Palmenform gereicht. Die umzäunte kleine Pflanze im Beet nebenan kommt trotz des ganzen Tamtams recht unscheinbar daher.

„Dieser Winter in Berlin ist besonders grau, nass und unerfreulich“, sagt Gartenchef Thomas Borsch zur Begrüßung. Da sei es doch schön, dass man mit der Palme ein Symbol der Tropen feiern könne. Aber Moment: Der Botanische Garten hat in etwa 22.000 Arten, die Hälfte davon unter Glas. Warum also so viel Aufhebens um etwas, das zumindest im Moment wie eine x-beliebige Büropflanze aussieht? „Die Seychellenpalme ist wie ein Pandabär im Pflanzenreich“, erklärt Borsch, „das Symbol einer gefährdeten Art.“

Riesige Bäume mit kompliziertem Liebesleben

Die Palme ist im Dschungel der kleinen Seychellen-Insel Praslin zu Hause, einige Bäume wachsen auch auf dem Nachbareiland Curieuse. Das war’s. Insgesamt gibt es wohl noch um die 8200 Pflanzen. Die riesigen Bäume haben ein ausgesprochen kompliziertes Liebesleben. Und das ist wohl auch der Grund dafür, warum sie so selten sind.

Es fängt damit an, dass die riesigen Samen nicht schwimmfähig sind. Im Lauf der Jahrhunderte trieben nur hohle Nüsse über die Weltmeere, der Rest ging einfach unter. Außerdem gibt es männliche und weibliche Exemplare des Baums. Biologen nennen das Diözie oder Zweihäusigkeit. Die weiblichen Pflanzen, an ihnen hängen die riesigen Samen, werden etwa 25 Meter hoch. Es dauert ganze sieben Jahre, bis die Nüsse reif sind und zu Boden plumpsen. Dort keimen sie dann, vielleicht.

Die Pollen liefern die männlichen Bäume. Sie sind mit 30 Metern etwas höher als ihre Herzdamen nebenan. „Wie genau die Bestäubung abläuft, und wann sie gelingt, ist aber weitgehend ungeklärt“, sagt der Biologe Albert-Dieter Stevens. Vielleicht übernimmt der Wind den Job, vielleicht sind es Insekten, vielleicht auch kleine Nager.

Immer wieder haben sich die Berliner an der Zucht der Seychellenpalme versucht. Und immer wieder sind sie gescheitert. Im Kriegsjahr 1943 erfroren zwei Palmen unter dem zerstörten Dach des Tropenhauses. Man hatte sie aus Samen gezüchtet, die ein deutsches Kriegsschiff Anfang der Dreißiger mitgebracht hatte. Dann passierte lange nichts. Nach der Jahrtausendwende gab es dann zwei neue Versuche. Einmal ging die Pflanze ein, einmal keimte die Nuss noch nicht einmal.

Nun soll es endlich gelingen. Im Großen Tropenhaus haben sie extra eine spezielle Beetheizung im Boden versenkt. „Ohne Technik geht es nicht, die Seychellennuss braucht einen warmen Fuß“, erklärt Gärtnermeisterin Henrike Wilke. Sie und ihre Kollegen werden viel Geduld brauchen – und ein bisschen gute Hoffnung. Denn noch ist nicht gesagt, dass das Bäumchen auch durchhält. „Kindersterblichkeit kommt vor“, sagt der Forscher Stevens. Kritisch wird es, wenn die Palme das Nährgewebe in der Nuss aufgebraucht hat und sich auf ihre eigenen Wurzeln verlassen muss.

Export im großen Stil

Ob der Baum im Berliner Tropenhaus ein Junge oder ein Mädchen ist, wird erst in 25 Jahren feststehen, vielleicht auch erst in 50. In jedem Fall steht den Hauptstadtbiologen ein langer und komplizierter Kampf um ihren Schützling bevor. Einen Stamm entwickelt die Palme erst nach 15 Jahren. Dafür bringt sie riesige, bis zu vierzehn Meter lange und vier Meter breite Blätter hervor.

Die Seychellenpalme hat die Menschen von jeher fasziniert. Der Kaiser Rudolf II. griff für die seltsame Naturalie besonders tief in die Tasche. Der Habsburger zahlte 4000 Gulden für eine Nuss. Von einem Prager Experten ließ er sie dann besonders kunstvoll mit Gold einfassen. Der Goldschmied bekam übrigens einen Lohn von zehn Gulden im Monat.

Jahrhundertelang wurden die Nüsse in großem Stil exportiert, zuletzt unter anderem nach Indien und China, um dort zu Arznei- und Potenzmitteln verarbeitet zu werden. Seit ein paar Jahren ist das nun nicht mehr so einfach. Und so brauchte es eine Sondergenehmigung der Regierung, damit der Berliner Rechtsanwalt Robin Maletz den Samen im Frühjahr 2010 nach Berlin bringen durfte – im Handgepäckfach eines Flugzeugs und als offizielles Geschenk der Republik Seychellen.

Nun hoffen sie also in Berlin, dass die Palme durchhält. Sie ist schließlich etwas ganz besonderes. Ende des 19. Jahrhunderts war dem britischen General Charles Gordon bei einem Besuch auf den Seychellen folgende Idee gekommen: Die Seychellenpalme, so sagte sich der frühere Generalgouverneur des türkisch-ägyptischen Sudans, müsse ganz gewiss der biblische Baum der Erkenntnis sein. Wo doch die Nuss so stark an die weiblichen Formen erinnert, könne nur sie alle fleischlichen Gelüste ausgelöst haben, folgerte der evangelikale Christ: „Wenn die Neugier von einem Baum angestachelt werden kann, dann von diesem.“

Quelle: https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,810125,00.html

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